Schiedsgerichte für den Investitionsschutz: Eine Erfindung von TTIP?

Es wird oft davon ausgegangen, dass TTIP die internationale Schiedsgerichtbarkeit für den privaten Investitionsschutz als neuartiges Instrument schaffen würde. Diese Vorstellung ist inkorrekt: Österreich hat seit langem und mit mehreren Staaten Abkommen geschlossen, die derartige Bestimmungen enthalten. Die gegenwärtige Ablehnung der Schiedsgerichtbarkeit findet meines Erachtens ihren Ursprung auch nicht im Prinzip der Überstaatlichkeit, sondern in seiner konkreten Ausgestaltung. In diesem Kontext bleibt nämlich zu klären, wie die Macht der Großkonzerne im Schiedsverfahren eingeschränkt werden kann.

  4. Mai 2016    3' Lesezeit

Nach den Greenpeace-Veröffentlichungen wird wieder starke Empörung rund um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) laut, insbesondere was die Bereiche Landwirtschaft und Konsumentenschutz betrifft. Die Kritik an TTIP, die in Österreich derzeit auf einen Höhepunkt zusteuert, hat aber eigentlich allgemeinere Ursachen. Sie stößt sich zum einen an der geheimen Verhandlungsprozedur und zum anderen an den Bestimmungen zum Investitionsschutz (Stichwort „Schiedsgerichtbarkeit“).

Ich möchte hier nur auf den zweiten Punkt eingehen,1 weil meines Erachtens diesbezüglich ein großes Mißverständnis besteht: Es wird meistens davon ausgegangen, dass die internationale Schiedsgerichtbarkeit, die für den privaten Investitionsschutz zwischen USA und EU zuständig sein soll, ein neuartiges Instrument sei.

Schiedsgerichte und Investitionsschutz: Eine lange Geschichte

Eigentlich sind internationale Schiedsgerichte (wie das ICSID) schon seit langem Schlüsselkomponenten bilateraler Investitionsabkommen. Österreich hat mit über 60 Staaten solche Abkommen geschlossen,2 und in vielen davon sind Klauseln zur Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten durch Schiedsgerichte enthalten.

Als Beispiel möchte ich das Abkommen mit der Türkei, das 1989 (also vor dem EU-Beitritt) beschlossen wurde, zitieren:

„Im Fall einer Investitionsstreitigkeit zwischen einer Vertragspartei und einem Investor […] steht es jeder der Streitparteien frei […] die Meinungsverschiedenheit dem Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zur Beilegung durch ein Vergleichsverfahren oder ein Schiedsverfahren zu unterbreiten.“ (Art. 9, in BGLB 612/1991)

Warum hat der österreichische Nationalrat eine solchen Klausel einstimmig angenommen?3 Weil die „klassische“ völkerrechtliche Methode der Streitbeilegung (also zuerst über die Gerichtsbarkeit der jeweiligen Länder und danach eventuell international über den diplomatischen Schutz) langsam und zahnlos ist. Vereinfacht gesagt wäre es für ein Land zu leicht, ein internationales Abkommen auszuhebeln, in dem es seine nationalen Gesetze ändert.4 Schiedsgerichte erlauben eine unkomplizierte und überparteiliche Lösung solcher Konflikte; sie führen somit zu erheblich erhöhter Rechtssicherheit.

Die Bevorteilung der Großkonzerne

Also viel Aufregung um nichts auch bei TTIP? Nicht ganz. Die aktuelle Debatte dreht sich nämlich zwar vordergründig um die Institution der Schiedsgerichtbarkeit bei Investitionsstreitigkeiten, eigentlich geht es aber um die Übermacht der Großkonzerne, die in den letzten Jahrzehnten (zumindest dem allgemeinen Empfinden nach) stark zugenommen hat und (von europäischer Seite) als besonderes Merkmal der USA aufgefasst wird. Großkonzerne werden insofern durch die Schiedsgerichtbarkeit gestärkt, dass sie allein juristisch und finanziell für solche Verfahren ausgestattet sind: Sie haben immer viel zu gewinnen und wenig zu verlieren.

Die Diskussion sollte deshalb weniger um das Prinzip der internationalen Schiedsgerichte geführt werden, als vielmehr um den fairen Zugang und die Zusammensetzung der Schiedsgerichte, die nicht zu bloßen Erfüllungsgehilfen der globalen Konzerne werden dürfen. In dieser Hinsicht könnte zum Beispiel die Einführung eine Strafe oder Gebühr5 bei ungerechtfertigter Anrufung des Schiedsgerichts in Erwägung gezogen werden.

  1. Die Geheimhaltung der Verhandlungen ist ein äußerst komplexes Thema. Auch wenn es für völkerrechtliche Verträge – wie zum Beispiel für das viel gelobte Atomabkommen mit dem Iran – eigentlich selbstverständlich ist, von Regierungen allein ausgehandelt werden, ist es im gegenständlichen Fall sicherlich nicht ideal, ein so tiefgreifendes, auch innenpolitisch hochrelevantes Abkommen im Entstehungsprozess ganz von den Bürgern fernzuhalten, weil das Vertrauen in die Kommission schon stark angeschlagen ist. Es sollte unter anderem für den Rat oder das EU-Parlament möglich sein, der Kommission klare und öffentliche Weisungen für die Verhandlungen zu geben.
  2. Seit dem Vertrag von Lissabon ist die Kompetenz, derartige Verträge auszuhandeln, auf die EU übergegangen (Vgl. Reinisch (Hg.) 2013, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts Teil I, S. 590).
  3. Es ist äußerst lehrreich, die stenographischen Protokolle der diesbezüglichen Parlamentssitzung (101. Sitzung der XVII. Gesetzgebungsperiode) ausfindig zu machen. Das Investitionsabkommen mit der Türkei wurde nämlich kurioserweise im Plenum nicht einmal debattiert. Es wurde auf Beratung des Außenpolitischen Ausschusses ohne Widerspruch angenommen (vgl. S. 11841). Im Jahr 1989 war also selbst die Haider-FPÖ (Haider war selber im Nationalrat anwesend) mit derartigen Abkommen hochzufrieden.
  4. Vgl. Reinisch (Hg.) 2013, S. 598f.
  5. Die etwa einen Prozentsatz des Gewinns oder Umsatzes des Unternehmens ausmachen könnte, um große Unternehmen nicht zu bevorzugen.